Das Kratzquartier: Zürichs ehemaliges Armenviertel der Innenstadt
Das Kratzquartier
Einleitung
Bei der Recherche über die Geschichte der Zünfte, das Sechseläuten und den Böögg, bin ich immer wieder auf das ehemalige Kratzquartier gestossen. Texte, alte Bilder und Fotos erweckten meine Neugierde, um mehr über dieses ehemalige Quartier herauszufinden, das beim «grossen Umbau» im 19. Jahrhundert zum Opfer fiel. Leider existieren keine Häuser mehr. Ein einziges Überbleibsel gibt es noch: der alte Kratz-Brunnen, der vor dem alten Stadthaus stand. Mehr darüber später!
Erstmals wurde das Kratzquartier 1315 erwähnt und gehörte bis zur Reformation von 1519 zur Abtei des Fraumünsters, danach ein Quartier der Stadt Zürich. Während der «grossen Bauperiode» wurde der «Kratz» von 1877 bis 1891 vollständig abgetragen. Die Stadt Zürich kaufte sukzessiv die Liegenschaften auf; die die nicht verkaufen wollten, wurden enteignet. Man wollte die Stadt aufwerten und es entstanden prunkvolle Bauten, Wohn-und Geschäftshäuser auf Kosten der armen Bevölkerung vom «Kratz».
Der Name Kratz und die Lage des Quartiers
Mit «kratzen» oder «Krätze» hat der Name nichts zu tun. Man vermutet eher, dass die abgeschlossene Lage dem einstigen Quartier seinen Namen gegeben haben könnte. Einen «Kratten» bezeichnet man einen Korb und diese Form entspricht in etwa einer Sackgasse, die das Quartier zum See hin bildete. Auch wurden viele dieser Kratten/Körbe auf dem Kratzmarkt feilgeboten, wie eines der vielen Fotos aus dieser Zeit dokumentiert.
Das «Kratzquartier» lag am damaligen Stadtrand, eingeklemmt zwischen der im Norden liegenden Fraumünsterabtei und dem Zürichsee. Im Westen stand die Stadtmauer mit dem Kratzturm. Dahinter gleich der Fröschegraben, die heutige Bahnhofstrasse. Im Süden war der See, im Osten floss die Limmat.
Die Bewohner und Bewohnerinnen nannte man «Chrätzler» und «Chrätzlerinnen». Der alte Name «Kratz» wird heute nicht mehr verwendet.
Zürichs Armenviertel
Durch diese besondere, abgeschottete Lage, die nur über zwei Strassen erreichbar war, befand sich der «Kratz» räumlich wie in einer anderen, eigenen Welt, ein eigener Kosmos.
Die Bevölkerung unterschied sich zu den anderen Einwohnern der Stadt. Im «Kratz» wohnten eher Arme und Randständige, Wäscherinnen, Kesselflicker, Prostituierte, aber auch der Totengräber des Fraumünsters und der Henker von Zürich nannten das Quartier ihr Zuhause.
Um 1400 gehörte die Hälfte zu den ärmsten Bewohnern der Stadt. In anderen Quartieren lag der Anteil bei etwa einem Fünftel.
Auf den alten Fotos erkennt man diese zum Teil heruntergekommen, alten Häuser sehr gut, auch die ärmlich gekleideten Menschen. Sie waren speziell – in jeder Hinsicht!
Das Tag-und Nachtgleiche-Feuerfest – Ursprünge des heutigen Bööggs.
Dieser alte Brauch geht auf die Bewohner des Kratzquartieres zurück. Die Knaben des Quartiers verbrannten im Frühling zur Tag-und Nachtgleiche eine oder mehrere Strohpuppen und veranstalteten wilde Tänze um den Böögg, ähnlich wie heute die Reitergruppen der Zünfter beim Sechseläuten. 1879 fand am heutigen Bürkliplatz die letzte Verbrennung statt und wohl aus stillem Protest gegen den Abriss ihres Quartieres, entschied man sich, statt einer Strohpuppe einen Schneemann in einem bürgerlichen Gewand (wie sie die Männer rechts der Limmat trugen) abbrennen zu lassen. Falls du mehr über das Sechseläuten und das Zunftwesen erfahren möchtest, empfehle ich dir einer meinen beiden Blogs zu lesen!
Das ehemalige Stadthaus mit dem Kratz-Brunnen
Dieses Foto zeigt uns Reste des Marktes auf dem Kratzplatz, wo seit 1796 Jahrmärkte stattfanden. Links im Hintergrund sieht man das alte Stadthaus, rechts nebenan das Waschhaus, mit dem Waschplatz. 1877 wurden die Gebäude abgetragen.
Links aussen erkennt man das heute noch bestehende «Bauschänzli» mit der grossen Pappel, die später gefällt wurde.
Und wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man auf dem schwarz-weissen Foto den Kratz-Brunnen. Der Brunnen besteht aus Solothurner Marmor. 1632 wurde er auf Verlangen der Kratzbewohner erneuert. Er wurde nach dem Bau der Bahnhofstrasse/Börsenstrasse zuerst an die südliche Ecke verlegt. Beim Bau der Schweizerischen Nationalbank 1919 wurde er noch einmal versetzt. Heute steht er als einziger Überrest des Kratzquartieres auf der Fritschiwiese, unweit vom Albisriederplatz.
Mit den Tramlinien 2 oder 3 direkt zur Haltestelle Zypressenstrasse fahren, von dort sind es nur noch ein paar wenige Fussminuten (Fritschistrasse 8 / 8003 Zürich) zum Park mit dem Kratzbrunnen.
Der Kratzturm
Der Kratzturm mit einer Höhe von rund 24 Metern, war Teil der Zürcher Stadtbefestigung und bildete das südwestliche Ende. Erwähnt wurde er erstmals 1397 als «Turm am Graben im Spitz», erst im Laufe der Zeit erhielt den Namen «Krazturm» in Anlehnung an das Armenquartier. Er war ausserdem Sitz des Feuerwächters. Nach verschiedenen Umbauten und Instandstellungen wurde der Turm 1870 ein letztes Mal umgebaut. Stadtingenieur Arnold Bürkli setzte sich vehement für den Erhalt des Turms ein, doch der Stadtrat fasste 1875 den Entschluss, ihn zugunsten der neuen Bahnhofstrasse abzureissen. Zwei Jahre später war er Geschichte. Er stand mitten auf der heutigen Bahnhofstrasse, Ecke Börsenstrasse.
Speziell war der «Baugarten» am Kratzturm:
1621 wurde westlich auf einem Moränenhügel das Bollwerk «Spitz» angebaut und weil keine Kriegsgefahr bestand, legte der Vorstand des Bauamtes dort einen Garten an und pflanzte Gemüse an. So kam er zu seinem Namen.
1804 dann pachtete die vornehme Gesellschaft «Zur Waag» das Areal, nannte sich «Baugarten-Gesellschaft» und richtete darin eine kleine Wirtschaft mit Kegelbahn ein. Der «Baugarten» wurde zu der wohl beliebtesten Gartenwirtschaft Zürichs und war das Ziel zahlreicher Sonntagsausflüge.
Zahlreiche einflussreiche Persönlichkeiten verkehrten im Baugarten, so etwa der Stadtpräsident Melchior Römer, Crédit Suisse- und Gotthardbahngründer Alfred Escher, der Schriftsteller und Stadtschreiber Gottfried Kelller, der deutsche Architekt Gottfried Semper und der Komponist Ignaz Heim. An warmen Sommerabenden lud dort der Zürcher Orchesterverein zu Konzerten ein.
1870 übernahm der Göschener Wirt den Betrieb. Sein Sohn, Schriftsteller Ernst Zahn (1867-1952) zog 1880 mit seiner Familie nach Göschenen, wo er später von seinem Vater das Bahnhofbuffet übernahm.
Ernst Zahn wuchs im Baugarten auf. In seinen Erinnerungen beschreibt er auch den Kratzturm. Die Baugartengesellschaft wurde 1904 vom letzten noch lebenden Vorstandsmitglied aufgelöst.
Städtische Fotos Baugeschichtliches Archiv
In den Beständen des Baugeschichtlichen Archivs finden sich viele Bilder des Kratzquartiers vor und nach dem Abbruch. Die Neugestaltung des Kratzquartiers und weiterer Stadtgebiete bewog den Stadtrat im Jahr 1877 zur Verfügung, dass alle wichtigeren Ab- und Umbrüche in der Stadt zu fotografieren seien. Dieser Beschluss bildete den Grundstein für das Baugeschichtliche Archiv der Stadt Zürich.
Quellen
Wikipedia -Universität Zürich -Stadt Zürich -zhwelt - altzüri